Intervall-Training für das Gehirn
„Schön, dass Sie trotz des Wortes Mathematik im Titel gekommen sind“, freute sich Referent Prof. Dr. Matthias Kreck vom Mathematischen Institut, Hausdorff Center for Mathematics der Universität Bonn, über die zahlreichen Zuhörer bei der Jubiläumsveranstaltung in der Aula der Universität Bonn.
Krecks Vortrag M³ „Musik x Mathematik x Malerei“ hätte inhaltlich
eigentlich ins 3. Quartal „Welt der Zahlen“ des Jubiläumsjahres der
Universität Bonn gehört. Die Verschiebung ins 4. Quartal tat dem
Interesse am Thema offensichtlich keinen Abbruch. Eine mögliche
Erwartung des Publikums erfüllte Prof. Kreck jedoch nicht, wie er gleich
zu Beginn verdeutlichte: Es gehe nicht darum, Beziehungen zwischen den
genannten Bereichen zu erklären, sondern es sei vielmehr sein Anliegen,
„die drei Künste völlig unvermittelt nebeneinanderzustellen“.
Musik
von Ludwig van Beethoven und Johann Sebastian Bach – damit kann man,
zumal in Bonn, schon mal nichts falsch machen. Zur Einstimmung auf die
kurzweilige Veranstaltung spielten Michael Allan (Piano) und Prof. Kreck
(Cello) Beethovens Sonate für Klavier und Cello op. 5, Nr. 2 in g-Moll,
Satz 1. Satz 2 folgte am Ende des Vortrags. Prof. Kreck erläuterte die
Idee, die hinter seiner Konzeption von M³ steckt: Für diese Art von
Vortrag habe er sich von der Sportwissenschaft inspirieren lassen. Dort
gebe es das sogenannte Intervall-Training. Auf ein „Intervall-Training
fürs Gehirn“ dürfte sich das Publikum nun bei M³ freuen. Zuerst könne
man die Musik genießen und damit die emotionale Seite des Gehirns
aktivieren. Danach könne man sich auf Mathematik konzentrieren und so
die rationale Seite des Gehirns ausloten. Wobei der Genuss von Kunst
Prof. Krecks Ansicht nach nachwirke und für die Beschäftigung mit
Rationalem förderlich sei.
Das gleiche Prinzip gelte für die
Auseinandersetzung mit Malerei, fuhr Prof. Kreck fort und stellte die
Malerin Luitgard Ilg und deren Kunst „Pars et Totum“ vor. Dabei handelt
es sich um eine eher zufällig entstandene Kunstrichtung. Ilg malt
meistens gegenständlich. Vor ein paar Jahren malte sie jedoch eine Serie
abstrakter Bilder. Diese hat sie dann mit einem Museumsscanner sehr
hoch auflösend eingescannt. Beim Betrachten der Bilder auf dem
Bildschirm setzte sie den Zoom-Effekt ein und nahm plötzlich markante
Details in den Bildern als eigene Bilder wahr. In einem zweiten
kreativen Schritt ging es dann darum, nach besonderen Bildern in den
Bildern zu suchen. Die Darstellung der vergrößerten Ausschnitte ließ
sich am besten realisieren, nach dem die gezoomten Gemälde auf Glas
gedruckt wurden. Erst dieser Untergrund sorgt für die notwenige Brillanz
und Tiefe, die es den Betrachten ermöglicht, unter der Überschrift
„Pars et Totum“ selbst Entdeckungen zu machen.
Prof. Kreck
stellte das Verfahren in Interaktion mit dem Publikum und mit Hilfe
einer großen Leinwand vor. In der Pause gab es Gelegenheit, sich einige
Bilder Ilgs im vorderen Teil der Aula anzusehen und mit der Künstlerin
zu sprechen. Ein Gemälde von Ilg war auch der Ausgangspunkt für Prof.
Krecks mathematische Erläuterung des Goldenen Schnitts und dessen
Zusammenhang mit der unendlichen Zahlenfolge der sogenannten
Fibonacci-Zahlen. Die Fibonacci-Zahlen beschreiben unter anderem das
Wachstum einer Kaninchenpopulation.
Zur Veranschaulichung des
Problems und seiner Lösung erzählte Prof. Kreck eine ziemlich
mathematikorientierte Variante der Schöpfungsgeschichte. Auf das – in
der Mathematik unvermeidliche - Aufschreiben von Formeln bereitete er
das Publikum mit einer Anekdote vor. Auch die musikalischen
Zwischenspiele – Prof. Kreck musizierte Sätze aus Johann Sebastian Bachs
Suite Nr. 3, in C-Dur für Violoncello Solo – dienten erkennbar der
geistigen Erholung des Publikums und dem Kräftesammeln für das nächste
mathematische Intervall. Schließlich richtete sich der Vortrag dezidiert
auch an mathematische Laien.
Hier dürfte man bei allem Unterhaltungswert der Veranstaltung, einschließlich gezielt gesetzter Seitenhiebe auf den Zustand des heutigen Mathematik-Unterrichts, jedoch ein kleines Fragezeichen machen. Denn es passierte trotz Prof. Krecks Eloquenz natürlich das, was häufig bei populärwissenschaftlich angelegten Mathematik-Vorträgen passiert: Bis zu einem gewissen Punkt kann man den Ausführungen des Mathematikers tatsächlich folgen. Fast unmerklich ereignet sich dann ein Qualitätssprung. Und während der Referent weiterhin völlig in seinem Element ist, kann der mathematische Laie nur noch staunen. Was freilich der Faszination Mathematik keinen Abbruch tut. Das Publikum jedenfalls spendete allen drei Künstlern großen Applaus.