Maria Gräfin von Linden-Aspermont, Zoologin
Die Vorkämpferin
Wissenschaft bedeutet, beständig neue Gedanken zu haben. Neue Entwicklungen beständig neu zu untersuchen. Und es bedeutet, frühere Gedanken beständig zu hinterfragen, wenn die neuen Entwicklungen es nahelegen. Es gab eine Zeit, da war die Wissenschaft keine Sache der ganzen Menschheit, sondern nur einer Hälfte von ihr: der männlichen. Es dauerte lange, bis sich das änderte. Eine Pionierin auf dem Weg dorthin war die Zoologin Maria Gräfin von Linden, die erste Professorin der Universität Bonn.
Maria von Linden wurde 1869 auf Schloss Burgberg bei Heidenheim geboren. Sie bekam zunächst Privatunterricht, wechselte dann auf eine „Töchterschule“ in Karlsruhe und machte 1891 in Stuttgart das Abitur. Dies gelang nur durch Fürsprache ihres Großonkels, der zeitweilig ein hohes Mitglied der königlich württembergischen Regierung war. Viele Teile des Stoffes (etwa in Latein und den Naturwissenschaften) musste sie sich vor der Prüfung selbst aneignen, weil kein Gymnasium bereit war, eine Frau aufzunehmen. Nach von Lindens Abitur machte ihr hilfreicher Onkel es möglich, dass sie (mit Sondererlaubnis des Königs) an der Universität Tübingen studieren durfte – als erste Frau überhaupt, wenn auch nur als Gasthörerin. Sie studierte Zoologie, Mineralogie, Physik, Botanik und Mathematik und promovierte 1895 (als erste Frau Deutschlands) zum Doktor der Naturwissenschaft. Ihr Professor Theodor Eimer pflegte sie „das Gräfle“ zu nennen. Sie blieb ihm nichts schuldig: Als er sie in einer Vorlesung einmal fragte: „Nicht wahr, Gräfle, der Mensch ist aus Dreck geschaffen?“, soll sie geantwortet haben: „Jawohl, Herr Professor, aber nur der Mann.“
Nach vier Jahren als wissenschaftliche Assistentin erst in Halle, dann wieder in Tübingen wechselte sie 1899 ans Zoologische und Vergleichende Anatomische Institut der Universität Bonn. Dort arbeitete sie über Möglichkeiten zur Bekämpfung der Tuberkulose und fand heraus, dass das Kupfer desinfizierende Wirkung besitzt – ein wichtiger Schritt zur Entwicklung steriler Wundverbände. Für ihre Untersuchung über die Frage, warum Schmetterlinge bunte Flügel haben, erhielt sie im Jahre 1900 einen Preis der französischen Akademie der Wissenschaften. Die Fachwelt erkannte ihre Leistungen durchaus an: So wurde sie 1908 mit der Neueinrichtung des Parasitologischen Abteilung des Hygiene-Instituts der Uni beauftragt – nicht mit dem Titel „Direktor“, sondern als „Abteilungsvorsteher“ (nicht etwa „-vorsteherin“). 1910 wurde sie die erste Professorin der Hochschule (und die erste Frau mit diesem Titel in Deutschland überhaupt). Doch auch dies hatte einen zeitgebundenen Haken: von Linden wurde nicht „ordentliche Professorin“, sondern lediglich „Titularprofessor“. Habilitation und Lehrbefugnis wurden ihr verwehrt: Sie durfte lediglich (nach Ende der Vorlesungen der männlichen Kollegen) Demonstrationen zur Hygiene vornehmen sowie Übungen im Erkennen, Konservieren und Züchten tierischer Parasiten durchführen.
Nach dem Ersten Weltkrieg verschlechterte sich von Lindens Stellung an der Hochschule. Erst ab 1920 gestand man ihr ein Gehalt zu, von dem sie leben konnte, stufte sie aber schon 1928 wieder zurück. Auch gelang es ihr nicht, ihre Parasitologische Abteilung zum eigenständigen Institut aufwerten zu lassen. Im Gegenteil: Für die Zeit nach ihrer Pensionierung wurde ihre Stelle als „künftig wegfallend“ vorgemerkt. Nach der Machtergreifung der Nazis wurde Maria von Linden durch das NS-Gesetz „zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ in den Zwangsruhestand versetzt. Sie war eine entschiedene Gegnerin des Regimes, hatte schon 1923 vor Hitler gewarnt, wohnte in Bonn im Haus des 1894 verstorbenen LINK Heinrich Hertz und bemühte sich für die Familie des jüdischstämmigen Physikers um Ausreisemöglichkeiten. Von Linden selbst emigrierte nach Lichtenstein, wo sie sich weiterhin wissenschaftlich betätigte, insbesondere im Bereich der Krebsforschung. Am 25. August 1936 verstarb sie in Schaan (Liechtenstein). Die Universität Bonn ehrt ihr Andenken durch das LINK „Maria-von-Linden-Programm“ für Frauen in der Wissenschaft, das 2006 seine Arbeit aufnahm.
(c) Maria Gräfin von Lindern, Foto: Archiv/Universität Bonn