Friedrich August Kekulé (seit 1895: Kekulé von Stradonitz), Chemiker
Der Träumer der Ringe
Wissenschaftliche Durchbrüche beruhen auf intensiver Geistesarbeit, auf stundenlangem Durchdenken komplizierter Formeln, auf tage- (und nächte-)langer Arbeit im Labor. Na ja, nicht immer nur darauf. Manchmal stammen große Erkenntnisse auch aus einem Traum am warmen Herdfeuer. So erging es Friedrich August Kekulé, einem der größten Chemiker aller Zeiten.
Kekulé entstammte einer alten böhmischen Adelsfamilie; 1895 wurde sein Titel als „von Stradonitz“ erneuert. Er wurde 1829 in Darmstadt geboren und studierte ab 1847 in Gießen, wo Justus von Liebig in ihm 1849 die Begeisterung für die Chemie erweckte. Bei ihm promovierte er 1852 und arbeitete 1854 und 55 am Londoner Saint Bartholomew’s Hospital. Schon damals schuf er die Grundlagen für die Darstellung von Molekülen durch „Strukturformeln“: Sie ermöglichen es, am Aussehen einer Formel zu erkennen, wie das Molekül eines Stoffs aufgebaut ist. Bereits diese Idee kam ihm wachträumend – in einem Londoner Omnibus. „Da gaukelten vor meinen Augen die Atome. [...] Heute sah ich, wie vielfach zwei kleinere sich zu Pärchen zusammenfügten; wie grössere zwei kleine umfassten, noch grössere drei und selbst vier der kleinen festhielten, und wie sich Alles in wirbelndem Reigen drehte. Ich sah, wie grössere eine Reihe bildeten und nur an den Enden der Kette noch kleinere mitschleppten.“ Noch in der folgenden Nacht brachte er den Ansatz seiner „Strukturtheorie“ zu Papier, die er in den folgenden Jahren perfektionierte: Er habilitierte sich 1856 in Heidelberg, war dort bis 1858 Privatdozent, dann ordentlicher Professor für Chemie in Gent.
Seine Ideen brachten viel Ordnung in die bis dahin unübersichtliche Vielfalt der Moleküle. Noch immer jedoch war die Struktur des Benzols rätselhaft, einer für die organische Chemie besonders wichtigen Substanz. Auch außerhalb der Fachkreise berühmt machte Kekulé, wie er das Rätsel schließlich löste. Im Winter 1861 betrachtete er im Halbschlaf das Funkenspiel eines Kaminfeuers. „Wieder gaukelten die Atome vor meinen Augen. Alles in Bewegung, schlangenartig sich windend und drehend. Was war das? Eine der Schlangen erfasste den eigenen Schwanz und höhnisch wirbelte das Gebilde vor meinen Augen.“ Plötzlich war alles klar: Das Benzolmolekül besteht aus sechs zum Ring zusammengeschlossenen Kohlenstoff-Atomen, an jedes von denen sich ein Wasserstoffmolekül schließt. Dieser „Benzolring“ ist der wichtigste Schlüssel zur Ausweitung der Strukturformeln auf alle Benzolverbindungen – sie kommen in Farb- und Geschmacksstoffen vor, in Kunststoffen, Medikamenten und Lösungsmitteln. So leistete Kekulé einen zweiten entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der organischen Chemie und zum anschließenden Boom der deutschen Chemieindustrie.
1867 wurde August Kekulé zum Direktor des Chemischen Instituts der Universität Bonn berufen. Das neue Institutsgebäude war damals gerade im Entstehen: Mit drei großen Laboren, zwei Hörsälen und einer Elf-Zimmer-Direktorenwohnung samt Ballsaal war es damals das weltgrößte Institut seiner Art. Kekulé setzte 1873 noch eine Vergrößerung durch, indem er trotz eines Rufs nach München (wo die Universität ihn zum Nachfolger Justus von Liebigs machen wollte) demonstrativ in Bonn verblieb.
Kekulé war ein mitreißender akademischer Lehrer und motivierender Chef, Mitarbeiter und Schüler verehrten ihn. Es heißt, er habe sich im Jonglierspiel geübt, gern getanzt und sei ein talentierter und unterhaltsamer Imitator gewesen. 1877/78 war er Rektor der Universität Bonn; in den Jahren 1878, 1886 und 1891 auch Vorstand der Deutschen Chemischen Gesellschaft. Kekulé starb am 13. Juli 1896 in Bonn; sein Ehrengrab befindet sich auf dem Friedhof in Poppelsdorf. Seit 1903 steht vor dem Gebäude seines Instituts ein imposantes Denkmal für ihn. Unbekannte setzen ihm bisweilen Mützen auf, hängen ihm Schals um oder Bärte an – kein Spott, sondern eher der liebevolle Versuch, eine neue Bonner Tradition des Studentenulks zu etablieren. Das Institut für Organische Chemie und Biochemie der Universität Bonn – nicht mehr im Poppelsdorfer Gebäude, sondern seit 1972/73 in Endenich – heißt heute „Kekulé-Institut“. Ähnlich wie seine Bonner Professorenkollegen LINK Friedrich August Argelander und LINK Heinrich Hertz hat der berühmte Chemiker auch seinen „eigenen“ Himmelskörper: Seit dem Jahr 2010 heißt der Asteroid Nummer 13254 offiziell „Kekulé“.
(c) Friedrich August Kekulé, Foto: Archiv/Uni Bonn